Zwei Faktoren machen die öffentliche Sichtbarkeit für Frauen besonders schwer:
Dein Frisör erzählt von der TV-Schachtel, die so hässlich und ungeschminkt am Sonntag auf dem Elisabethmarkt rumschlappt, dein Onkel lacht eine Politikerin aus für ihre neue Haarfarbe, der Mann in der Bahn auf dem Sitz gegenüber scheint immer nur dich anzuschauen, auf einem Netzwerktreffen macht ein neuer Kontakt eine unpassende Bemerkung über dein Alter – über das Aussehen einer Frau darf man sich anscheinend auslassen, hemmungslos, konsequenzlos.
Es muss immer schwingen. Wir suchen und verlangen den schwingenden, harmonischen Kontakt und die Verknüpfung mit jedem Wesen im Raum. Wir suchen und verlangen diesen Kontakt mit uns selber. Wenn wir ihn nicht fühlen, behaupten wir zu ahnen, dass etwas nicht stimmt und suchen etwas oder jemanden neues.
Je mehr wir uns mit unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen, uns coachen lassen, reflektieren, uns die wirklich wichtigen Fragen stellen und von den Antworten darauf leiten lassen – was ja alles unglaublich wichtig, bereichernd und eigentlich stärkend ist – umso kritischer wird dieser Wohlfühlzwang.
Irgendwann sind wir an einem Punkt, an dem alles perfekt passen und schwingen muss, damit wir überhaupt den Mund aufmachen. An dem jeder Pixel auf meiner Website sitzen muss, an dem das Logo jede einzelne Facette meiner Persönlichkeit widerspiegeln muss, an dem der Text hundertmal gefeilt und probegelesen sein muss, damit ich die Seite überhaupt online stelle.
Ich kann beide Gefühle, das der Ausgesetztheit und den Wohlfühlwahn, wahnsinnig gut verstehen. Ersteres, und vor allem die Gründe dafür, machen mich je nach Tagesverfassung gereizt bis sprachlos zitternd wütend. Zweiteres macht mich schlicht traurig.
Da ich aber extrem dafür bin, dass Frauen sichtbar werden und sichtbar bleiben, da es Irrsinn und einfach unlogisch ist, von etwas anderem auszugehen, da ich es jedes einzelne Mal als eine unglaublich wertvolle Entwicklung erlebe, wenn eine Kundin mit dem Online-Stellen einer Website einen ersten Schritt in eine öffentliche Position macht, habe ich zwei Antworten auf diese Faktoren:
Es geht nicht um deine Sichtbarkeit, also die Sichtbarkeit deiner Person (deine Poren, dein Lachen, deine grauen Haare, deine Oberschenkel) – sondern es geht darum, dass deine Arbeit und deine Ideen sichtbar werden für diejenigen, die sie brauchen können.
Denk an diese Menschen, die deine Arbeit brauchen. Du könntest ihnen helfen – aber nur wenn sie dich finden. Sprich: wenn du für sie sichtbar bist.
Ja, du machst dich damit auch sichtbar für die anderen, für die wertenden und ätzenden. Aber:
Sichtbarkeit fühlt sich nicht immer gut an. Erfolg fühlt sich nicht immer gut an.
Sichtbarkeit bedeutet auch, Kritik zu erhalten, auch ungerechtfertigte oder unfaire, es bedeutet auch gesehen und bewertet zu werden. Aber unsichtbar bleiben ist keine Alternative. Allein schon um der Menschen willen, die dich brauchen – siehe oben. Dich weiterhin verstecken ist auf Dauer verletzender und schädlicher als die Angst, eventuell verletzt zu werden.
Es muss sich nicht immer gut anfühlen, und es wird sich nicht immer gut anfühlen.
Wie ich an dieser Stelle schon geschrieben habe: Wir sind es unseren Ideen und Träumen und Unternehmen schuldig, aus unserer Wohlfühlzone herauszugehen und etwas Neues auszuprobieren. Und wenn daraus ein unangenehmer Moment entsteht, heißt das weder, dass wir unseren kompletten Kurs ändern müssen, noch dass wir uns in den Panzer zurückziehen müssen.
Und, wie ich in meinem Website-Verbesserungs-Buch in dem Kapitel zum Thema Sichtbarkeit geschrieben habe: Sich zeigen ist anstrengend. Es wird einfacher, und müheloser, aber das Anstrengende daran ist nie auf einen Schlag weg – also gewöhne dir am besten von Anfang an einen guten Umgang mit dieser Anstrengung an.
Lass dir Zeit, und gib dir Ruhe, aber lass dich nicht vom Haken.
[Ein Beitrag für die Blogparade zum Thema Sichtbarkeit der Digital Media Women]
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